Samstag, 18. September 2010

Schläger in Uniform: Olaf H.

Missbrauch des Gewaltmonopols - wenn Polizisten prügeln

Jahrelang war er bekannt, sogar das Landesparlament befasste sich mit dem Fall: In Berlin ist ein Hundertschaftsführer der Polizei nicht behelligt, sondern sogar befördert worden, obwohl er mehrfach ausrastete und Menschen schlug. KONTRASTE fragt nach: Wie kann es sein, dass der Staat sein Gewaltmonopol sträflich missbrauchen lässt?

Vielleicht erinnern Sie sich: Vor zwei Monaten hatten wir berichtet, wie die Gewalt gegen Polizisten in deutschen Großstädten zunimmt. Leider müssen wir aber auch immer wieder feststellen, dass Polizisten selbst mitunter wie Hooligans auftreten. Schläge ins Gesicht, ein brutaler Tritt in den Unterleib - ein solcher Fall ist klar dokumentiert. Dennoch blieben die gewalttätigen Übergriffe eines Polizisten aus Berlin offenbar lange Zeit ohne Folgen. Wie kann es sein, dass der Staat sein Gewaltmonopol derart sträflich missbrauchen lässt? Jo Goll und Norbert Siegmund.

Ein prügelnder Polizist. Wie aus dem Nichts schlägt er zu: Olaf H., Erster Polizeihauptkommissar. Chef einer Berliner Einsatzhundertschaft. Ein Polizist, dem die Hand ausrutscht. Körperverletzung im Dienst.

Die Opfer der Schläge. Tosten Niewzella und Daniel Berte, Geschäftspartner und Fans des BFC Dynamo. Im Dezember 2008 sind sie dabei, als ihre Mannschaft im Berliner Mommsenstadion spielt.

Torsten Niewzella, Opfer von Olaf H.
„Der kam auf uns zu und sagte irgendwie: ‚Von euch Pennern lass ich mich nicht beleidigen!‘ und wie gesagt in dem Moment habe ich gesagt: ‚Stopp mal wir machen doch gar nichts, wir stehen hier, ich bin hier am telefonieren!‘ und daraufhin kam ja der Schlag von ihm ins Gesicht.“

Daniel Berte, Opfer von Olaf H.
„Ohne Ankündigung, ohne Grund, ohne Alles, man sieht es ja auch, auf den Bildnern ist ja deutlich zu sehen, dass es auch kräftige, heftige Schläge waren. Und dann sind sie weiter gegangen, als wäre nichts gewesen.“

Torsten Niewzella erleidet eine schwere Gesichtsprellung, kann tagelang nicht arbeiten. Die beiden Fußball-Fans zeigen Olaf H. an, weil Zeugen bestätigen, dass der Polizist grundlos zugeschlagen habe.

Torsten Niewzella, Opfer von Olaf H.
"So einen kann man wie gesagt nicht im Dienst lassen, das geht nicht."

Daniel Berte, Opfer von Olaf H.
"Im Verfahren über unsere Rechtsanwälte ist uns dann auch zu Ohren gekommen, dass da schon mehrere Sachen über diesen Herrn am Laufen waren."

Ist Olaf H. tatsächlich schon im Dienst auffällig geworden? Wir fragen bei der Berliner Polizei nach: Ein Interview will man uns nicht geben. Schriftlich lässt man uns wissen:

Zitat
„Bis zu dem Vorfall ist der Beamte weder strafrechtlich noch dienstrechtlich in Erscheinung getreten...“

Ein Ausrutscher also? Wir beginnen zu recherchieren und stellen fest: Olaf H. ist für die Justiz und sogar für die Berliner Politik seit Jahren kein Unbekannter:

Oktober 1998: Anti-Nazi-Demonstration in Königs Wusterhausen, südlich von Berlin. Olaf H. ist als Zugführer dabei. Später wirft er diesem Demonstranten vor Gericht vor, er habe Gewalt angewendet - gegen ihn und andere Kollegen. Mitten in die Gerichtsverhandlung sendet Spiegel-TV diese Bilder: In Zeitlupe ist hier zu erkennen: Das Basecap wird dem angeklagten Demonstranten vom Kopf geschlagen und dann tritt Olaf H. ihn offenbar in den Unterleib.

Das Amtsgericht Königs Wusterhausen stellt zweifelsfrei fest, dass dem Angeklagten

Zitat
„…seitens des Polizisten das Knie in den Unterleib gerammt wurde.“

Freispruch für den von Olaf H. beschuldigten Demonstranten.

März 1998: Einsatz von Berliner Einheiten beim Castor-Transport im nordrhein-westfälischen Ahaus. Die Beamten aus Berlin fallen durch ihre ruppige Gangart auf, werden im Nachhinein von Demonstranten und sogar von ihren Kollegen aus Nordrhein-Westfalen schwer belastet. Der Vorgang wird im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses aufgearbeitet. Der grüne Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland stellt damals eine parlamentarische Anfrage. Wieland will von der Berliner Polizeiführung wissen, ob Maßnahmen gegen den Polizeihauptkommissar H. eingeleitet wurden, der

Zitat
„…unkontrolliert, unbeherrscht und von blindem Aktionismus geprägt…",

unter anderem eine Bahnschranke beschädigt haben soll.

Wolfgang Wieland (B‘90/Die Grünen), MdB
„Nach diesem Kastortransport hätte man ihn völlig in eine andere Verwendung führen müssen - nicht mehr als Zugführer, nicht mehr bei der Bereitschaftspolizei, nicht mehr mit einem Schlagstock den Bürgern sozusagen gegenüber stellen dürfen.“

Diese Konsequenz wird nicht gezogen, obwohl Olaf H. in der Folgezeit wieder im Dienst auffällig wird. Im Jahr 2004 wird er von seinen Vorgesetzten zum Hundertschaftsführer ernannt.

Hätte die Berliner Polizeiführung aber stattdessen nicht aufgrund der bekannten Vorfälle mit disziplinarischen Maßnahmen gegen Olaf H. vorgehen müssen? Wir befragen dazu einen führenden Experten für das Beamtenrecht.

Prof. Hans-Dietrich Weiß, Rechtsexperte
„Es muss der Dienstvorgesetzte, und zwar der unmittelbare Dienstvorgesetzte, wenn der zureichende Verdacht eines Dienstvergehens vorliegt, eingreifen. Und zwar ist es nach neuem Recht seine Dienstpflicht, es tun zu müssen. Und er würde selbst ein Dienstvergehen begehen, würde er nicht einschreiten und ein Disziplinarverfahren einleiten.“

Haben die Vorgesetzten wirklich nichts gegen Olaf H. unternommen? Wir fragen nochmals nach. Doch die Polizeiführung gibt uns keine Auskunft. Sie beruft sich auf Fristen, nach denen bestimmte disziplinarische Maßnahmen aus den Personalakten getilgt werden müssen - zum Schutz der Beamten.

Zitat
„Insofern kann und darf zu Vorkommnissen, die länger als sieben Jahre zurückliegen, keine Aussage getroffen werden. Der Beamte war aufgrund dieser Vorschrift disziplinarisch nicht belastet.“

Egal, ob es ein Disziplinarverfahren gegeben hat oder nicht: Rechtsexperte Weiß ist der Ansicht, dass die Berliner Polizeiführung in Fällen wie Olaf H. längst hätte handeln müssen. Ganz einfach nach Maßstäben einer vernünftigen Personalführung.

Prof. Hans-Dietrich Weiß, Rechtsexperte
„Dann muss man sich schon mal von der Personalführung her überlegen, ob ich es dann noch verantworten kann, einen solchen Polizeibeamten in Bürgernähe zu bringen, wenn man nicht genau weiß, ob bei ihm eine Sicherung möglicherweise durchgeht. Dann ist es auch Führungsversagen, aus meiner Sicht, dass man sehen muss, wie man diesen Beamten möglicherweise anders einsetzt, als nun grade dort, wo er schlagen kann.“

Erst in diesem Jahr wurde Olaf H. wegen der Schläge im Berliner Mommsenstadion rechtskräftig zu einer Bewährungsstrafe von zehn Monaten und einer Geldstrafe verurteilt. Und erst nach diesen Vorfällen wurde er von seinem Dienstherrn in den Innendienst versetzt. Für die beiden Opfer seiner Schläge kommt dies zu spät.

Daniel Berte, Opfer von Olaf H.
„Da hätte die Polizei, oder der Staat als solches, der den Mitarbeiter beschäftigt, reagieren müssen und ihn hätten aus dem Verkehr ziehen müssen, definitiv.“


...und das erst recht, weil der gewalttätige Polizist als Führer einer Hundertschaft Vorbildfunktion hatte für dutzende seiner Kollegen!


Den Artikel nebst Videobeitrag gibt es hier:


http://www.rbb-online.de/kontraste/archiv/kontraste_vom_16_09/missbrauch_des_gewaltmonopols.html


Achtung: Im Zuge der Depublizierung öffentlich-rechtlicher Medieninhalte im Web wird der Artikel vermutlich nicht lange online sein.

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